Immer wieder während der letzten zwei, drei Jahrzente hat sich Techno auf Soul berufen. Es gab sogar, die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht, vor langer langer Zeit mal den Begriff »Techno Soul«, den sich vor allem ein gewisser Eddie »Flashin´« Fowlkes zu eigen gemacht hat, der sich fortan ganz unbescheiden »Godfather of Techno Soul« nannte. Aber hatte dessen zwar recht schöner, warmer und deeper Techno-House Marke »Detroit« wirklich mehr mit Soul zu tun als jede andere, x-beliebige schöne, warme, deepe Techno-Platte aus Berlin, London oder New York? Aber klar, Detroit: Die sogenannte Mutterstadt des Techno wurde nicht zuletzt durch das Motown-Label und dessen alles überstrahlenden Protagonisten in den frühen Sechziger Jahren zu einer der bedeutendsten und kommerziell erfolgreichsten Produktionsstätten von Soul und R&B und damit zu einer Art geografischen Sinnbild für Soulfulness. Somit umwaberte dann irgendwann jede noch so einfallslose Vierviertelproduktion aus Detroit der Mythos des besonders Beseelten, so als würden Geist und Körper des Soul automatisch per telefonischer Vorwahl 313 auf Vinyl gepresst.
Eine der wenigen ganz großen und erhabenen Ausnahmen dieser musikalischen Milchmädchenrechnung hörte (und hört immer noch) auf den Namen Kenny Dixon Jr., besser bekannt als Moodymann. Eines seiner Meisterwerke, die 12inch »The Day We Lost The Soul«, gewidmet dem Todestag Marvin Gayes, ist eines der schönsten Beispiele wie aus einem einfachen System aus Zeichen, Referenzen und Tönen etwas Unsichtbares und doch ganz deutlich Spürbares entstehen kann, dass wir eben nicht sehen, nicht mal wirklich hören, sondern nur fühlen können und deshalb »Soul« nennen. Solche Momente entstehen aber auch oft dort – und da müssen wir leider mal kurz ganz tief in die Emo- Kiste greifen – wo »echter Schmerz« und das »wahre Leben« verhandelt, Trauer, Verlust, Liebe, ihr Finden und Verlieren thematisiert werden. Marvin Gayes Meisterwerk »What’s Going On« von 1971 etwa handelt von nichts anderem.
Fritz Kalkbrenner ist natürlich nicht der neue Marvin Gaye und er bewegt sich letztlich auch auf einem komplett anderen Terrain als ein Kenny Dixon Jr. Trotzdem veranlasst mich seine Musik, die ich nun seit vielen Jahren aufmerksam verfolge, und sein Debüt-Album »Here Today Gone Tomorrow« zu diesen Betrachtungen über die Verbindungslinien zwischen Techno und Soul.
Natürlich müssen wir nun an dieser Stelle sofort und ohne weitere wertvolle Zeit zu verlieren über diese, seine Stimme sprechen, mit der Fritz Kalkbrenner bereits Tracks von u.a. Alexander Kowalski und Sascha Funke ja, was? Mit Seele gefüllt hat? Menschen, die Fritz gerade kennengelernt haben, wollen oft nicht glauben, dass wirklich ER das ist, der da singt. Noch weniger glauben möchte man die Tatsache, dass einer so singen kann und damit trotzdem nicht massiv nervt, nicht angibt, nicht die Charts vollträllert oder sofort eine Maxi mit David Guetta aufnimmt. Dass einer, der so singt, keine karierten Neosoul-Kappen trägt oder in einer dieser grauenhaften und deshalb natürlich supererfolgreichen Accapella-Bands mitjodelt. Nee, der Typ macht einfach Techno und singt dazu wie ein Gott.
Eines Tages kam dann »Sky & Sand«. Und damit die in mir für immer unauslöschbare Erinnerung an den völlig selbstvergessenen Paul Kalkbrenner auf der Tanzfläche der Bar 25 im ersten Licht des Tages, an dieses Bild und diesen Moment vollkommener Transzendenz, wie ihn vor »Berlin Calling« noch kein Film über Techno, erst recht kein fiktiver, zuvor jemals eingefangen hatte; wie Paul da zu einem Text die Lippen bewegt, der eben nicht von »Uh Baby« oder »Pump it up«, sondern von echtem Schmerz und dem wahren Leben handelt, von Trauer, Verlust, Liebe, ihrem Finden und Verlieren. I found myself alive in the palm of your hand. Wie oft hat man das aufgelegt und fast geheult dabei? Aber Fritz Kalkbrenner kann tatsächlich noch mehr als mal eben DIE Hymne der Nuller Jahre mitzukomponieren. Und ihn und seinen Soul nur auf diese einzigartige Stimme zu reduzieren, würde seiner Musik und seinem ersten Album Unrecht tun. Der Soul steckt ja auch immer in den Tönen und ganz besonders oft in den Räumen dazwischen. Fritz ist deshalb auch nicht der Jan Delay oder gar der Xavier Naidoo des Berliner Techno; stattdessen weiß er ganz genau, wo er herkommt und wo und mit wem und warum er sich die letzten 15 Jahre die Nächte in sehr dunklen und sehr lauten Clubs um die Ohren hat.
»Here Today Gone Tomorrow« ist dabei ein wundervoll sanftes und kluges Techno-Album geworden, das sich gar nicht erst zwischen den zwei Seiten einer Medaille entscheiden muss. Wie jeder gute Grenzgänger weiß Fritz Kalkbrenner zu vermitteln zwischen den verschiedenen musikalischen Polen, die es immer wieder miteinander zu versöhnen gilt. So funktionieren die instrumentalen Stücke gleich den gesungenen wie kleine, strukturierte Erzählungen, die Gesangstücke dagegen unterlassen es tunlichst, vor lauter Wehmut und Melancholie die Tanzfläche in einem Meer von Tränen versinken zu lassen. Mit den beiden spektakulären Hits »Facing The Sun« und »Sideways & Avenues«, dem düsteren »Was Right Been Wrong« und dem countryesken »Right In The Dark« schüttelt Fritz hier mal eben genügend Popmusik aus dem Ärmel, um es sich ansonsten im Club gemütlich machen zu können, immer fein ausbalanciert zwischen einem so rockenden wie swingenden Techno, der ganz offensichtlich in der Familie liegt und den schwelgerischen und verträumten Momenten, die ein wenig an Sascha Funke oder Superpitcher erinnern.
Gerade zu verschwenderisch dazwischen gestreut findet der Hörer schließlich kleine Beat-Miniaturen, die an Kalkbrenner´s Sozialisation mit HipHop- Ikonen wie Eric B. & Rakim, KRS-One oder den Wu- Tang Clan erinnern und von einer solchen lässigen Qualität sind, das sie bei manch Anderem schon für ein komplettes Album ausgereicht hätten. Ein wenig ist er halt doch eine Art Moodymann, out of Berlin- Lichtenberg. Und dann noch dieser Bart … fehlt eigentlich nur noch der Afro.